„Die Energiewende soll ein Lebensgefühl sein – fast schon Kult“

Interview mit Sofia Rödiger
Von der Jury nominiert, mit den Stimmen des Publikums gewonnen: Für den Titel „Startup of the Year“ mussten sich 1Komma° gleich zweifach beweisen. Frau Rödiger, was bedeutet dieser doppelte Erfolg für Sie und ihr Team?
Die Auszeichnung ist für uns etwas ganz Besonderes – vor allem, weil es kein typischer Startup-Award ist. Es fühlt sich an wie ein Ritterschlag, da wir alles inhouse machen: vom Voiceover bis zum kreativen Konzept, ohne Agenturen oder externe Produktionen. Alles, was 1KOMMA5° nach außen trägt, stammt von uns. Deshalb ist es umso bedeutender, dass genau diese Arbeit gewürdigt wird – von Menschen, die Tag für Tag Herzblut, Kreativität und Energie in diese Marke stecken. Gerade in einer Zeit, in der die Energiewende viel Gegenwind erfährt, ist dieser Preis ein echter Mutmacher und Motivationsschub für uns alle.
Als CMO Dach haben Sie eine zentrale Rolle in der Markenstrategie und Markenführung eines europaweit agierenden CleanTech-Startups inne. Was treibt Sie an?
Ich bin Psychologin, kein klassischer Marketier. Ich komme aus der Energie- und Tech-Branche, unter anderem aus dem Bereich Elektromobilität. Mich fasziniert besonders der Moment, wenn Menschen mit einer neuen Technologie in Berührung kommen – und sie dann in ihren Alltag integrieren. Deshalb haben wir mit 1KOMMA5° bewusst andere Wege gewählt: Statt die Marke „grün anzumalen“, wollten wir etwas Neues schaffen – mutig, klar, zukunftsorientiert. Deshalb zum Beispiel die Entscheidung für die Farbe Lila: für uns ein Symbol des Aufbruchs. Oder unsere Showrooms, in denen Menschen unsere Technik wirklich erleben können – statt der x-ten Tarif-Website. Dass dieser Mut nun mit einer solchen Auszeichnung belohnt wird, macht mich unglaublich stolz.
Was ist Ihr Erfolgsrezept für Markenaufbau in einem so komplexen Umfeld wie der Energiewende?
Dinge bewusst anders machen – und das konsequent. Wenn man sich klassische Anbieter im Energiemarkt anschaut, wirkt vieles altbacken, eintönig und wenig inspirierend. Auch die Kommunikation rund um Erneuerbare ist oft negativ geprägt – mit Begriffen wie „Verbot“, „Verzicht“ oder „Heizungshammer“. Wir wollen das Gegenteil erreichen: Die Energiewende soll sich gut anfühlen. Sie soll ein Lebensgefühl sein – fast schon Kult. Dafür haben wir uns inspirieren lassen von Marken wie Apple und Tesla, die es geschafft haben, technische Innovationen mit Emotionen, Design und Coolness zu verbinden. Anderes als der Branchenstandard setzen wir auf positive Zukunftskommunikation und Authentizität. Wir zeigen keine Hochglanz-Influencer, sondern unsere Kund*innen und Mitarbeitenden. Zuversicht und Authentizität wirken – und stecken viele an.
2021 in Hamburg gegründet, ist das Unternehmen heute als One-Stop-Shop mit intelligenten, integrierten Energielösungen weltweit an 80 Standorten und in sieben Märkten anzutreffen. Was waren die größten Meilensteine der letzten vier Jahre?
Geschäftlich war der größte Meilenstein sicher unser Unicorn-Status – zwei Jahre nach Gründung und bei durchgehender Profitabilität. Kommunikativ gab es für mich einen echten Aha-Moment, als der Der Spiegel titelte: „Deutschlands günstigster Stromtarif – und er ist by the way auch sauber.“ Das war ein Gamechanger. Wir haben gemerkt: Die Ideologie „1,5 Grad“ erreicht fünf Prozent der Menschen. Aber wenn du sagst: „Hier kannst du richtig Stromkosten sparen“, hören plötzlich alle zu. Das hat unsere Strategie komplett verändert: Im Performance-Marketing haben wir den Fokus stark auf Preis und Alltagstauglichkeit gelegt. Die Marke bleibt emotional, aufklärend und vertrauensvoll – aber in der Breite wirkt der Geldbeutel. Das war der Hebel für unsere Skalierung.
Weitere Meilensteine? Der Aufbau unserer Showrooms. Unsere Podcast-Formate. Ein Kinderbuch zur Energiewende. Unsere OMR-Techno-Party mit Scooter, die viral gegangen ist. Und politische Partnerschaften – mit Größen wie E.ON und dem Bundeswirtschaftsministerium.
Rund um Photovoltaik, Stromspeicher, Wärmepumpen und Ladesäulen baut 1KOMMA5° auf eine Kerntechnologie: Heartbeat-AI. Was genau steckt dahinter und wie geht es damit weiter?
Heartbeat AI ist das Herz von 1KOMMA5° – daher auch der Name. Während viele Wettbewerber über Hardware eingestiegen sind – etwa mit Wärmepumpen oder Solaranlagen – haben wir gesagt: Das ist Commodity. Entscheidend ist nicht das einzelne Gerät, sondern wie man all diese Technologien intelligent miteinander verbindet. Unsere Plattform ist eine digitale Wertschöpfungskette – von der Planung bis zur Steuerung im Alltag. Das beginnt bereits im Handwerk: KI unterstützt uns bei der Automatisierung von Prozessen und bei der Optimierung der Planung, etwa durch Drohnenbilder und Bildanalyse. So entsteht ein extrem effizientes, skalierbares Handwerk.
Bei den Kunden ist Heartbeat AI dann die Steuerzentrale im Haus. Die Plattform lernt, wann die Sonne scheint, wie der Verbrauch im Haushalt aussieht, wann die Wärmepumpe läuft – und optimiert das alles automatisch. Das Ergebnis: Energie wird günstiger, sauberer und aktiv steuerbar.
Und darin liegt der große Hebel: Wir haben in Deutschland kein Energieproblem – wir haben ein Steuerungsproblem. Heartbeat löst genau das. Perspektivisch wird die Plattform marktplatzfähig: Partner können sich andocken. Die Energiewende bekommt ein digitales Betriebssystem.
Das Interview führte Carsten Puschmann.