Inklusion gestalten: Wie Aktion Mensch Marken für alle denkt
Interview mit Josephine Thiel, Kommunikationsmanagerin bei der Aktion Mensch
Sie rufen mit der Kampagne #OrteFürAlle Bürgerinnen und Bürger auf, Ideen für eine inklusivere Welt einzubringen. Kann auch eine Marke barrierefrei sein?
Sollte sie sogar! Auch bei Marken ist es eine Grundvoraussetzung, dass sie für alle zugänglich sind. Schließlich gehen ihnen letztendlich Kund/innen verloren, wenn das nicht der Fall ist. In Deutschland haben ca. zehn Mio. Menschen eine Behinderung – das heißt, wir sprechen hier von keiner kleinen Gruppe. Und Barrierefreiheit nützt allen Menschen: Was für Menschen mit Behinderung essentiell ist, ist für Menschen ohne Behinderung in der Regel komfortabel. Einfache Sprache zum Beispiel. Deswegen passt das Thema auch gut zu einer elementaren Voraussetzung der Zukunftsfähigkeit von Marken: Kund/innenzentrierung. Unser Appell: Denken Sie von Anfang an verschiedene Perspektiven mit! Befragen Sie ihre Kund/innen mit und ohne Behinderung! Und im besten Fall: Lassen Sie Ihre Kund/innen schon bei der Entwicklung oder Weiterentwicklung Ihrer Marke mitgestalten! So entstehen Produkte, Services und Angebote, die für viele Menschen einen Nutzen haben – weil sie sie nutzen können.
Welches sind die wichtigsten KPIs, mit denen Sie den Erfolg dieser Kampagne messen?
Wir finden, dass Barrierefreiheit als Voraussetzung dafür geschaffen werden muss, dass wir alle – egal, ob Menschen mit oder ohne Behinderung – miteinander leben können. Hierbei möchten wir auch die Menschen erreichen, die bisher noch nicht wissen, was Inklusion ist. Im direkten Umfeld vor Ort muss ein inklusives Miteinander stattfinden, damit alle überzeugt werden. Dies schaffen wir mit barrierefreien Orten für alle. Diese setzen wir gemeinsam mit unseren Förderprojekten um – oder sensibilisieren dafür mit Kampagnen. Je nach Kontaktpunkt prüfen wir daher auf operativer Ebene die Reichweite und die Interaktion. Wir messen zudem konkret über Marktforschungen, ob und wie stark sich z.B. das Bewusstsein der Menschen in Deutschland für Barrierefreiheit und Inklusion verändert.
Welche Markenkontaktpunkte und Kanäle haben sich für Ihre Organisation als besonders effektiv herausgestellt und welche werden zunehmend an Bedeutung gewinnen beziehungsweise verlieren?
Das variiert sehr stark nach Ziel und Zielgruppe. Als Marke Aktion Mensch wollen wir eine breite Öffentlichkeit für unsere Vision einer inklusiven Gesellschaft sensibilisieren und dazu motivieren, uns dabei mit einem Los zu unterstützen. Deshalb nutzen wir einen breiten Media-Mix aus klassischen und digitalen Medien. Digitale Medien gewinnen dabei zunehmend an Bedeutung. Fachzielgruppen, wie unsere Förderpartner/innen oder Menschen, die sich schon viel mit Inklusion auseinandergesetzt haben, erreichen wir über strukturierte Online-Angebote, digitale Dialogformate (z.B. Webinare), aber auch im Rahmen von Live-Events.


Mit dem Thema Inklusion sind Sie UX-Experten par excellence. Was sind in Ihren Augen die wichtigsten Hebel, um mehr nutzerfreundliches und damit auch universelles Design in unsere gestaltete Umwelt zu bringen?
Ganz klar: Binden Sie von Anfang an Menschen mit verschiedenen Perspektiven ein! Nehmen Sie das Feedback an, setzen Sie es um! Neben der Arbeit mit unseren Kolleg/innen mit Behinderung binden wir externe Berater/innen mit Behinderung ein, um beispielsweise Schwerpunktthemen auszuwählen, Kampagnenkonzepte und -botschaften durchzusprechen, aber auch um (digitale) Produkte wie unsere Webseite auf Zufriedenheit und Barrierefreiheit zu testen.
Welchen Impact haben Unternehmen in diesem Kontext und in welchen Handlungsfeldern sollten sie sich in Ihren Augen besonders engagieren?
Unternehmen sollten Menschen mit Behinderung und auch andere diverse Gruppen als attraktive Kund/innen und Arbeitnehmer/innen wahrnehmen. Wir finden es toll, dass die Sichtbarkeit unterschiedlicher Menschen in immer mehr Werbemitteln stattfindet. Darauf können Unternehmen wunderbar ansetzen – und zum Beispiel Inklusionstrainings machen, um das eigene Denken und Handeln zu challengen oder Fachkräfte mit Behinderung einzustellen.
Wie wichtig ist bei der Aktion Mensch die Marke, um Ihre Unternehmensziele zu erreichen – die ja immaterielle Werte sind?
Immens wichtig – denn bei uns spielt Vertrauen eine große Rolle. Mit dem Vertrauensvorsprung, den uns unsere Kund/innen geben, gehen wir bedacht um und möchten die größtmögliche Wirkung erzielen. Wir haben uns in den vergangenen knapp 60 Jahren eine Marke aufgebaut, bei der die Menschen wissen, dass wir Veränderungen vor Ort schaffen und uns für ein Miteinander Aller einsetzen. Das Zusammenspiel aus Lotterie, Förderung und Aufklärung ist dabei besonders wichtig, weil es verschiedene gesellschaftliche Bereiche adressiert. Über allem steht ein Gewinn: der mögliche unserer Lotteriekund/innen, der sichere vor Ort in unseren Förderprojekten und der gesamtgesellschaftliche Gewinn einer inklusiven Gesellschaft.vOder um es kurz zu machen: Das Wir gewinnt.

Welches ist für Sie die schönste Idee, die die Kampagne hervorgebracht hat?
Viele Menschen haben uns zurückgemeldet, dass sie mit der Kampagne verstanden haben, dass es bei Barrierefreiheit nicht nur um Rollstuhlfahrer/innen geht, sondern das Thema noch viele andere Menschen betrifft, wie zum Beispiel sehbehinderte oder gehörlose Menschen oder Menschen mit Lernschwierigkeiten. Übrigens auch Menschen ohne Behinderung: Wäre unser Umfeld zum Beispiel komplett für gehbehinderte Menschen nutzbar, dann hätten auch Eltern mit Kinderwagen weniger Probleme. Oder gäbe es immer Untertitel in Serien und Filmen für gehörlose Menschen, könnten auch Menschen mit Hörschwierigkeiten im Alter alles verstehen. Nicht die Behinderung selbst stellt die Herausforderung dar, sondern das nicht barrierefreie Umfeld. Und das müssen wir gemeinsam verändern und gestalten. Damit wirklich alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können. Hierbei ist im Übrigen nicht allein die Zivilgesellschaft in der Verantwortung. Fehlende Barrierefreiheit resultiert vor allem daraus, dass die Strukturen in der Politik oder auch der Privatwirtschaft noch voller Barrieren sind. Deswegen sind wir als Aktion Mensch auch noch nicht fertig: Die Kampagne läuft noch! Noch in diesem Jahr startet der nächste großen Werbeschwerpunkt mit dem Ziel, noch mehr Menschen darauf aufmerksam machen, welchen Gewinn es für uns alle hat, nicht nebeneinander, sondern miteinander zu leben.
Link zur Kampagnen-Landingpage: www.aktion-mensch.de/ortefueralle